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        Bilder im Karner: 
          
          
          
          
        Dreieck im Karner: 
          
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        Es hat durchaus einen eigenen Charme, sich an diesem Ort
        mit Schöpfung zu beschäftigen. In einem Gebeinhaus, in einer
        Aufbewahrungsstätte für Knochen. Man könnte meinen, dass sich hier
        viel eher der zweite Begriff aus dem Titel der Veranstaltung, die
        Evolution, aufdrängt. Eine durchaus schlüssige Folgerung: Die
        Evolution sei bei dieser Ansammlung aus Gebeinen an ihr Ziel gelangt, es
        sei vollbracht. Jedoch die Schöpfung kontert, erinnert geschickt an die
        Vision des Ezechiel. Der Prophet berichtet, der Herr habe ihm eine Ebene
        voller ausgetrockneter Gebeine gezeigt und zu ihm gesprochen: Ich selbst
        bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich spanne Sehnen über
        euch und umgebe euch mit Fleisch; ich überziehe euch mit Haut und
        bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. (Ez 37,5f) Wie es sich
        für eine gute Geschichte gehört, folgt das Happy End auf den Fuß, es
        ist also durchaus noch nicht vollbracht.
         Und oder doch oder  
        Schöpfung und Evolution oder doch: Schöpfung oder Evolution, so lautet
        hier die Frage. Ausgetrocknete Gebeine oder lebendiges Fleisch – so
        die Gegenüberstellung nach der Logik des Ezechiel-Buches. Der schroffe
        Gegensatz löst sich durch eine neue oder eine anhaltende Schöpfung in
        ein fröhliches Und aus Gebeinen und Fleisch und Geist auf. Das wäre
        die visionäre Logik. In der formalen Logik, die als mathematisches
        System funktioniert, bleibt dieser Ausweg verwehrt. Seit alters her
        gilt: Tertium non datur, ein Drittes gibt es im kristallklaren
        Entweder-Oder nicht. Die Einfriedung von Nichtgleichem in einen
        gemeinsamen Bezirk erlaubt ausschließlich das Und, das Oder setzt
        solches schroff in zwei je eigene Bereiche und lässt sie wie
        Bocciakugeln aufeinander prallen. Nun stehen wir hier nicht vor
        Gebeinen, sondern vor Kunstwerken, vor Schöpfungen und/oder Evolutionen
        von Johannes Deutsch. Seine Arbeitsweise hat viel mit dem Spiel zwischen
        dem Und und dem Oder zwischen Schöpfung und Evolution zu tun. Johannes
        Deutsch ist ein Computerkünstler, zumindest was den Produktionsprozess
        der hier vorgestellten Arbeiten betrifft. Er hat sich aber nicht den
        vorgegebenen Werkzeugen der Zeichenprogramme unterworfen, nein, er hat
        sich die Maschine dienstbar gemacht und benützt sie gemäß seiner
        Notwendigkeiten. Die Orte seiner Bilder sind Überwelten, surreale
        Traumräume. Die Gesichte, die auf Schatten zurückgehen, die irgendein
        Gegenstand an der nächtlichen Wand im Zimmer eines Schlaftrunkenen
        entstehen lässt, diese Gesichte sind ihm wichtiger als die
        tatsächlichen Gesichter, die als Fotografie Grundlage der Arbeiten hier
        sind. 
        Die Visionen des Johannes Deutsch mögen zwar ganz andere als jene des
        Ezechiel sein, ein „Experte der Zukunft“ möchte er laut
        Selbstaussage aber allemal werden und trifft sich darin mit den
        Ansprüchen des Propheten. Die Entwicklung dieser Visionen mit dem
        Werkzeug Computer lässt diese aus dem vollständig gegensätzlichen
        System des binären Codes entstehen. In diesem System herrscht eindeutig
        das Oder, jedem Pixel ist ein spezifischer Farbwert zugeordnet, und zwar
        ausschließlich. Johannes Deutsch überführt aber das Ausschlussprinzip
        in seine Welt des bestimmten Und, in seine Schöpfungen von Bildräumen. 
        Die Arbeiten von Johannes Deutsch stehen zumindest
        hinsichtlich zweier Aspekte in der Tradition der Renaissance. Einmal
        durch die Idee des „uomo universale“, der Kunst und Wissenschaft in
        einer Person vereint. Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass sowohl die
        Kunst als auch die Wissenschaft eine künstliche Welt erzeugen, um mit
        der tatsächlichen Welt besser umgehen zu können. Der Wissenschafter
        versucht, sich selbst aus seinen Experimenten heraus zu halten, objektiv
        zu sein – was eine Illusion ist. Der Künstler arbeitet von
        vorneherein mit der Illusion – und ist damit völlig realistisch. 
        Ein künstlicher Raum  
        So belegt Johannes Deutsch zunächst seine Bildoberfläche mithilfe der
        Zentralperspektive mit einem Raumwinkel, er suggeriert, dass sich die
        ebene Leinwand oder Fotografie in die Tiefe erweitert. Überlagert wird
        dieser künstliche Raum durch die Fotografie eines Gesichts. Und nun
        setzen die Mehrfachumstülpungen ein, mit denen Johannes Deutsch seine
        Traumwelt aufbaut. Das, was wir als sich von uns entfernenden Winkel
        wahrnehmen, ist in der „wirklichen“ Welt die Ecke eines Holzhauses,
        die uns dort im Raum entgegenragt: Es ereignet sich Umstülpung Nummer
        Eins. Ähnliches geschieht mit dem Gesicht. Im Alltag ist ein Gesicht
        ebenfalls eine räumliche Form, die potenziellen Betrachtern
        entgegenragt, soll sie sich aber nun dem Winkel, dem fliehenden Raum,
        anschmiegen, dann muss auch das Gesicht umgestülpt werden: Umstülpung
        Nummer Zwei ist vollzogen.  
        Das gilt aber nur, wenn die Betrachter das Gesicht als ein Gegenüber,
        als ein Fremdes annehmen. Sobald diese sich mit dem Gesicht
        identifizieren wie mit einer Hauptakteurin in einem spannenden Film
        etwa, geschieht die Umstülpung bereits vor dem Bild. Umstülpung Nummer
        drei wäre die Anpassung des Gesichts der Betrachter an jenes auf den
        Bildern. Alle, die diesen Schritt vollziehen, werden plötzlich zu
        Winkelstehern, die in finstere Trichter blicken, wie Johannes Deutsch
        seine Raumecken nennt. Dieses Identifizierungsspiel öffnet sich
        zumindest in den dreidimensionalen Objekten zu einer Durchgangsstation.
        Der Trichter erinnert dann mehr an einen Geburtskanal, die
        Identifizierung an jene unumgänglichen Schritte, die zu unserer
        Individuation, manchmal sogar zu unserer Selbstfindung führen; zu der
        nicht zuletzt die Kunst entscheidende Anlässe bietet. Insofern ist
        diese Präsentation hier eine Einladung an uns alle. 
        Kunst nicht vereinnahmen  
        Es kann hier niemals darum gehen, den Streit der theologischen
        Schöpfungslehre mit der Evolutionstheorie der modernen
        Naturwissenschaften auf dem Rücken eines Künstlers auszutragen. Hier
        reicht es vollauf, wenn beide Wissenschaften sich an ihre selbst
        gesteckten Rahmenbedingungen halten. Kein Theologe kann daher
        sinnvollerweise die Schöpfungsberichte als naturwissenschaftliche
        Darlegungen interpretieren; umgekehrt wird sich auch die
        Naturwissenschaft nicht anmaßen, Antworten auf jene „letzten“
        Fragen geben zu wollen, die sie vorher per definitionem aus ihrem System
        ausgeschlossen hat. Wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden,
        können sich Vertreter beider Fächer als Menschen über diese
        Streitfragen unterhalten. Dann ist es auch sinnvoll, sich mit einem
        Meister des Und, wie Johannes Deutsch es ist, auseinanderzusetzen.  
        Unter dieser Vorgabe ist es auch erlaubt, meine Anregungen zu einem
        genussvollen Umgang mit den Arbeiten von Johannes Deutsch mit einer
        Aussage seines Namensvetters Johannes Chrysostomos parallel zu stellen.
        Er meinte: „Ich will dich zu einer noch leichter verständlichen Kunst
        führen, z. B. der Malerei, und auch da wird es dir schwindlig werden.
        Kommt dir nicht alles, was der Maler tut, planlos vor? Was kann er mit
        den Strichen, mit den Umrissen wollen? Wenn er aber die Farbe aufträgt,
        dann erscheint dir die Kunst schön – wiewohl du auch so noch kein
        genaues Verständnis gewinnst.“
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